Unbekanntes Livland

Der Deutsche Orden wird meist mit Ostpreußen in Verbindung gebracht. Dabei wird leicht übersehen, daß es auch einen noch nördlicheren Zweig des Ordens gab - im Gebiet des heutigen Estland und Lettland, das im Mittelalter als Livland bezeichnet wurde. Tatsächlich ist die Geschichte der Deutschen in Livland sogar etwas älter als die in Ostpreußen.

Livland galt bei Kreuzrittern, Missionaren und Händlern als kalter, feindlicher und weit entfernter Außenposten. Das Leben in Livland war weniger komfortabel als in Ostpreußen, doch auch in Estland und Lettland hat die Zeit des Ordensstaates ihre Spuren hinterlassen: In der Kultur und teilweise in den Sprachen, in der Architektur der Hansestädte und nicht zuletzt in Form zahlreiche Burgen, die oft bis heute existieren - wenn auch häufig nur noch als Ruinen. Auch die Lage der Außengrenzen der heutigen Staaten Estland und Lettland können bis zu den Eroberungen der Kreuzritter zurückverfolgt werden. Die heutige Tourismusindustrie in Estland und Lettland nutzt gerne das ereignisreiche Mittelalter als Marketinginstrument und in Tallinn und Riga wird versucht, das Mittelalter in den Altstädten lebendig zu halten.

Doch der Deutschen Orden war nicht der erste Eroberer Livlands. Noch vor dem Auftreten des Deutschen Ordens in Preußen (um 1230) wurde ein anderer Kreuzritterorden ins Leben gerufen: Der Schwertbrüderorden. Der 1204 in Bremen gegründete Schwertbrüderorden hatte zum Ziel, die Missionare zu unterstützen, die sich ins ferne Livland aufgemacht hatten. Dort trafen sie auf eine Bevölkerung, die aus kleineren baltischen Stammesverbänden bestand - den Kuren, Semgallen, Selen und Lettgallen - und auf die finno-ugrische Stämme der Liven und Esten. Die Christianisierung und Eroberung dieser heidnischen Völker führte zur Eingliederung Livlands in den mitteleuropäischen Kulturraum, bedeutete aber auch das Ende einer jahrhunderte-, wenn nicht sogar jahrtausendealten eigenständigen baltischen Kultur.